Wie aus Eggersrietern portugiesische Bauern wurden. Manuel Kuster von der Quinta das Figueiras berichtet über Glück, glückliches Scheitern und andere Schönheiten.
Der erste Gastbeitrag auf meinem Blog: unbedingt lesen!
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Aller Anfang ist schwer. Dieser Redewendung bediene ich mich in aller Aufrichtigkeit, denn seit wir eingeladen wurden, einen Gastartikel für diesen Blog zu verfassen, fällt es mir schwer, einen Einstieg zu finden. Zwar wurde uns von Michael kein Thema vorgegeben, doch ich und Andrea sind uns darin einig, die Idee von wersglaubtwirdselig aufgreifen zu wollen und aus unserer Perspektive zu reflektieren. Nun sind die ersten Zeilen geschrieben, und siehe: Der Anfang war gar nicht so schwer, womit bereits in wenigen Worten mit einer gängigen Wahrheit aufgeräumt wurde.
von Manuel Kuster
Wir, das sind Andrea und Manuel, wobei letzterer der Verfasser dieses Textes ist, und da er nicht immer von sich in der dritten Person schreiben will, bedient er sich nachfolgend der Ich-Form, wenn es sich um Betrachtungen aus Sicht des Erzählers handelt, und der Wir-Form, wenn es um das gemeinsam mit Andrea Erlebte, Gedachte, Gesprochene und Gefühlte geht. Entschuldigen Sie diese kühlen Erläuterungen; ich möchte mich selbst auch nicht zu lange in diesem fahlen Ambiente eines farblosen Wartesaals am Bahnhof aufhalten, wo doch eine spannende Reise ins Ungewisse bevorsteht. Aber – um das Gleichnis noch etwas mehr auszuschlachten – es lohnt sich eben oftmals doch, die Informationen auf der Anzeigetafel zu lesen, bevor man in den Zug steigt.
Nun gut, die Personalien wurden geklärt, was aber ist mit unserer Geschichte, also dem, was uns Menschen wirklich voneinander unterscheidet? Unsere Pfade des Lebens verflochten sich einst in St. Gallen und führten uns schliesslich über Eggersriet nach Vale de Prazeres in Portugal, wo wir auf unserem Bauernhof Quinta das Figueiras glücklich und hoffentlich bis ans Ende unserer Tage leben dürfen – so die Kurzfassung; auch dies nur ein paar Fakten, wie Stempel in einem Pass. Doch das Leben spielt sich zwischen diesen Destinationen ab und die Wahrheit liegt nicht in den Fakten, selbst wenn diese richtig sind. Damit ist die Überleitung zum Thema dieses Textes endlich vollbracht und alles weitere zu unserem Leben ist in unseren eigenen Chroniken der Quinta niedergeschrieben, wo sich die Leserschaft des vorliegenden Blogs gerne nach Beendigung dieser Sonntagslektüre austoben darf.
Ein Universum ohne Lügen
Sie kennen das: Sie wollen sich eine Meinung bilden, damit Sie Ihre Verantwortung in der Gesellschaft und in der Demokratie wahrnehmen können und ehe Sie sich versehen, haben Sie sich im dichten Gestrüpp des wuchernden Informationszeitalters verlaufen – alles was bleibt ist die Sehnsucht nach dem ungefilterten Licht eines kalten Wintertages. Uns persönlich zog es eher in wärmere Gefilde, doch das ist nebensächlich; der frostige Wintertag ist nur Sinnbild für fühlbare Einflüsse aus der Natur; etwas das echt ist oder eben wahr (-haftig). Denn wir sind Natur. Irgendwann wurden irrtümlicherweise die Begriffe Umwelt und Natur gleichgesetzt, vielleicht eine unschuldige Nachlässigkeit, die aber dazu führt, dass wir uns als Zentrum der Welt verstehen und mit der Natur allerhöchstens ein Austausch, eine notwendige Interaktion, stattfindet. Kein Wunder also, suchen wir die Wahrheit lieber irgendwo im Internet, als mit blossen Händen in der Erde danach zu graben.
Aus diesem Grund sind wir Bauern geworden, untalentiert und naiv wohlgemerkt, aber aus echter Überzeugung. Ein ehrbarer Beruf ist das, nicht zu verwechseln mit den industriellen Produzenten von Nahrungsmitteln oder anderen Erzeugnissen, welche die Natur für einen Selbstbedienungsladen halten. Ein richtiger Land-Wirt behandelt die Böden, die Pflanzen und die Tiere so, wie ein Gast-Wirt seine Klientel behandelt: mit Liebe, Respekt und Grosszügigkeit. Schliesslich sind beide an einer langfristigen Geschäftsbeziehung interessiert. Ein Bauer versteht es auch, demütig zu sein – denn er weiss, dass er scheitern wird, alle Jahre wieder, auch noch nach Jahrzehnte langer Tätigkeit. So ergeht es uns, doch die Lust daran besteht in der Lehre, die wir daraus ziehen: Nämlich, dass richtig und falsch so vergänglich sind wie die Wolken, die uns mal Regen bringen und mal nicht. Lügen gibt es in diesem Universum keine, denn alles ist Wahrheit.
Jetzt zu sagen, wenn alle so leben würden, dann hätten wir all diese grossen globalen Probleme nicht, ist zwar richtig, aber eben doch unzulänglich. Schliesslich lässt sich die Uhr nicht einfach zurück auf Mittelalter stellen – keine App und kein noch so smartes Phone vermögen dies und wenn doch, dann wäre es ein Anachronismus, der die Welt aus ihren Angeln heben würde. Wir leben im Heute und alles, was wir beeinflussen können ist die Zukunft von der nächsten Sekunde bis hin zur Ewigkeit. Also nutzen wir unser idyllisches Flecklein uneingeschränkte Wahrheit um uns zu stärken, denn der schäumende und undurchsichtige Fluss der Welt strömt weiter und reisst alles Vergängliche mit sich. Eines Tages landen auch wir in einem Meer der Vergessenen, mit allen Merkels und Trumps, die wir mal ignorieren und mal bekämpfen wollen, dessen sollten wir uns bewusst sein. Anstatt das Schlechte zu bekämpfen, wollen wir Gutes tun und uns demütig eingestehen, nicht alles tun zu können, was in unserer Macht steht.
Die Medaille der goldenen Erkenntnis
Ich schweife ab. Dieser Text sollte mehr Anekdoten aus dem Alltag enthalten. Einfach nachvollziehbare Beispiele, die erklären sollen, warum wir eben nicht alles glauben sollten, was wir so an Information konsumieren. Ich atme tief durch und versuche einen neuen, bodenständigeren Anlauf: Einer der Gründe, warum wir ausgewandert sind, war der Wunsch, so viele Lebensmittel wie möglich selbst anzubauen. An diesem Punkt waren wir bereits sehr kritische Konsumenten (das heisst, wir waren frustriert) und kein Bio-Label, sei es auch noch so zielgruppengerecht gestaltet, konnte uns mehr was vormachen. Wir glaubten dieser Industrie nichts, aber auch gar nichts mehr. Dann besorgten wir uns Bücher über Permakultur, die wir sorgfältig und mit viel Hingabe verinnerlichten. Wir beluden unseren Geist mit frischem Wissen und unser Auto mit Katz und Pack – los ging es in eine strahlende Zukunft!
Unsere portugiesischen Nachbarn belächelten unsere neuen Kulturmethoden, doch das sollte uns nichts ausmachen, schliesslich verfügten wir über dieses neue, heilige Wissen und Sie nicht – Gott möge ihnen verzeihen – ja, wir haben immerhin gleich mehrere Bücher gelesen und in Eggersriet bereits versuchsweise ein Hügelbeet angelegt und diese armen, rückständigen Bewohner dieser entlegenen Region in Südwesteuropa haben lediglich den Boden zu ihren Füssen zeitlebens bewirtschaftet (sollte es nötig sein, die Ironie in diesen Zeilen zu erklären, dann wäre jetzt der Zeitpunkt dazu). Sie ahnen sicherlich, was dann eintrat: Der Fall, welcher verdienterweise dem Hochmut auf dem Fusse folgt. Kurzum, es war so, dass uns all dieses theoretische Wissen nichts genützt hat, weil wir das Land nicht gekannt hatten. Wir fühlen uns noch wie Lehrlinge aber allmählich finden wir uns zurecht und unsere grosszügigen Nachbarn sind uns mit ihrer Erfahrung eine fantastische Unterstützung.
Falls Sie mich noch immer auf dieser zähen Reise durch einen nicht enden wollenden Artikel begleiten, dürfen wir uns nun endlich zusammen über eine Feststellung freuen: Erfahrung ist das bessere Wissen. Leider währt unsere Freude nur kurz, denn auf der Kehrseite dieser Medaille der goldenen Erkenntnis heisst es im Kleingedruckten: Was gestern gut war, ist heute nicht besser. Die Welt befindet sich also in stetigem Wandel, wie kann dann eine Wahrheit beständig bleiben, ohne dass sie sich irgendwann als falsch erweist? Wir verlassen den Wald und stehen plötzlich auf einer grossen Wiese mitten im Licht, wo wir uns mit unseren Büchern wieder versöhnen. Das in ihnen enthaltene Wissen sprudelt munter aus einer Quelle, doch wir kennen jetzt auch den Fluss der Vergänglichkeit, der auch dieses junge Gewässer irgendwann in sich aufnehmen wird. Wir trinken das klare Wasser und stärken uns mit Inspiration, denn das ist es was wir brauchen: Ideen. Sie sind beweglicher als Überzeugungen. Taugen sie nichts, dann feiern wir demütig ein weiteres Fest des Scheiterns. Erweisen sich die Ideen als vorläufig beständiger Wert, hoffen wir, sie auch irgendwann mit unseren Nachbarn teilen zu dürfen, damit wir uns gemeinsam weiterentwickeln können.
Schuldig ohne Anklage
Seit kurzem sind wir alle mit dem Phänomen „Fake News“ konfrontiert. Wer sich bis anhin unbeschwert auf Facebook und Co. eine eigene Meinung downgeloadet hat, muss spätestens jetzt konsterniert sein. Aber eigentlich ist es nur der Gipfel eines Eisbergs der Undurchsichtigkeit, mit dem früher oder später all unsere Gedanken kollidieren. Schliesslich können wir auch den „seriösen“ Medien schon lange nicht mehr vertrauen; ist es doch mehr oder minder plausibel, dass diese nur ein Instrument des „Systems“ zur Beeinflussung des gesellschaftlichen Bewusstseins sind. Sich in der Gerichtsmedizin der verstorbenen Idee einer freien Presse zurecht zu finden, ist also schon schwer genug und seit der Erfindung von News-Algorithmen müssen wir uns zu dem ganzen Schlamassel über Wahrheit und Lüge nun auch noch fragen, warum uns eine Meldung überhaupt auf den Seziertisch gelegt wird. Dagegen wächst auch nach Permakultur-Methoden kein geeignetes Kraut und ein Blog wie dieser von Michael vermag nicht mehr, als zu sensibilisieren. Dennoch schreibe ich einfach weiter. Genau so, wie ich weiter lebe und wie wir unsere Idee von einer besseren Welt aussäen, pflegen, gedeihen und wachsen lassen.
Ich bekenne mich des Glaubens schuldig. Entscheiden Sie selbst, ob ich nun das Wort der Glaube oder ein unreligiöses das Glauben in diesen verwässernden Genitiv verpackt habe, eine Rolle spielt es nicht. Entscheidend ist, dass wir, ohne das Klammern an einen unbekannten höheren Sinn, keinen Baum pflanzen würden, der erst einer späteren Generation mit seiner Schönheit Freude bereiten wird – mit seinen Früchten Hunger lindern wird – mit seinen Blättern Schatten spenden wird. Nicht einmal Kinder haben wir. Unsere Nachkommenschaft ist die Welt, ob sie nun von Menschen bevölkert sein wird oder nicht. Rühmen wir uns einen kurzen Augenblick dieses selbstlosen Handelns und loben uns für unser Bestreben, gute Menschen sein zu wollen, die Welt ein kleines bisschen besser machen zu wollen. Doch auch wer das glaubt, soll meinetwegen selig werden, denn während der kurzen Zeit, die wir auf diesem wundervollen Planeten verweilen dürfen, beschert uns unser Handeln – und seien damit auch noch so viele Opfer verbunden – vor allem eines: ein gutes Gefühl. Diese Idee macht mich unweigerlich zu einem Egoisten, sicher, doch tröste ich mich mit dem Gedanken an die Sonne, die um ihrer selbst Willen scheint, ob wir sie sehen oder ob sie von Wolken verborgen wird – oder ob überhaupt jemand da ist, der sich ihrer Pracht ergötzt. Wie die Sonne, so strahle auch ich – weil ich nichts anderes kann.
Besuche die Quinta hier: www.quintadasfigueiras.ch und lade den Beitrag im Original als pdf-Datei herunter: Das-Scheitern-ist-des-Bauern-Lust